Pannenserie bei STRATO reißt nicht ab
Bei vielen der 500 000
Kunden liegen die Nerven noch immer blank. Seit der Strato-Webspace
im Dezember oftmals einem digitalen Nirvana glich, verspricht Vorstandsvorsitzender
Rochus Wegener, 36, fortlaufend blühende Strato-Landschaften.
Doch wer im Januar
seine Website einrichten oder aktualisieren wollte, musste sich abermals
in Geduld üben. Tagelang funktionierten die FTP-Server nicht. Oder
der Logfile-Transfer wurde einfach abgeschnitten. Eine Gelassenheitsübung
besonderer Güte ist nach wie vor der zeitraubende Versuch, einen Operator
an die Leitung zu bekommen. Nach 20 Minuten Warteschleife reicht es
vielen. Wer sich dann teure Hilfestellung unter der 0180- Techniksupportnummer
verspricht, erhält im allgemeinen die monotone Auskunft, es gäbe gerade
ein paar technische Probleme. Bei der Buchhaltung scheint es Strato
auch im Januar noch immer nicht so genau zu nehmen: Da werden De-Domains
schon mal doppelt berechnet und abgebucht. Auf einer Rechnung. 
Nun haben die meisten Webspace-Kunden
durchaus Verständnis für gelegentliche technische Pannen ihrer Discount-Dienstleister.
Doch bei der miserablen Strato-Informationspolitik platzte selbst
den geduldigsten Usern der virtuelle Kragen. Irgendwie erinnert die
Salamitaktik der Öffentlichkeitsarbeiter an die derzeitigen Aufklärungsbeteuerungen
in der Politik: Zugegeben wird nur, was ohnehin nicht mehr zu leugnen
ist. Dies ärgert viele Kunden mehr als die Pannenserie.
Dabei fing alles so erfolgversprechend
an: 1994 gründen Norbert Stangl, 33, und Marc Alexander Ullrich, 31,
die Strato Medien AG. Die Geschäfte laufen gut, 1997 wird der Firmensitz
in die Hauptstadt verlegt. In Kooperation mit AOL startet das Erfolgsduo
im Folgejahr die Kampagne www.wunschname.de. Umsatz und Rendite explodieren.
Zu diesem Zeitpunkt liegt der Nettogewinn bei rund einer Millionen
Mark - bei nur 15 Millionen Umsatz. Ende 1998 kauft die Berliner Teles
Medien AG diesen Goldesel des Informationszeitalters. Die innovativen
Jungunternehmer managen die Firma weiter. Seit Sommer vergangenen
Jahres - Strato verwaltet bereits rund eine viertel Millionen Domains
- darf der Billig-Discounter die Produkte des Onlinegiganten AOL vermarkten.
Doch hinter den Kulissen knirscht es längst im Gebälk. Wegener: "Das
musste schiefgehen. Ullrich und Stangl wollten Strato billig zurückkaufen.
Warum sollten die an einem wirtschaftlichen Erfolg interessiert sein?"
Meist sucht Wegener, seit Anfang Dezember der neue Boss, die Verantwortlichen
an der Misere nicht im eigenen Haus oder bei Teles, zu dessen Vorstand
er auch gehört. An den unzumutbaren Zugriffszeiten sei Vertragspartner
X-Link schuld. "Die haben sich einfach geweigert, die technischen
Kapazitäten zu erhöhen. Wenn es hart auf hart kommt, werden wir Schadensersatzansprüche
zusammen mit unseren Kunden einfach eins zu eins an X-Link weitergeben."
Sollen sich etwa
Strato-Kunden nicht an ihren Vertragspartner, sondern an den Vertragspartner
des Vertragspartners wenden? Oder gar an den Wetterdienst, der den
weihnachtlichen Orkan "Lothar" unterschätzte? Besagter Orkan soll
am 26. 12. die Klimaanlage im Karlsruher Rechenzentrum zerstört haben.
Folge: Absolute Sendepause. Die Tage zuvor waren nicht weniger turbulent.
Der zähe digitale Umzug auf die längst überfälligen leistungsstärkeren
Großrechner Sun E 6500 wirkte wie ein Wettbewerbsbeitrag von Pleiten,
Pech und Pannen. Den mittlerweile rund 450 000 Domaininhabern war
mittlerweile der Humor vergangen. Nichts ging mehr. Schöne Bescherung.
Doch selbst wenn
die Technik läuft, Strato gelingt es immer wieder, seine Kunden zu
verärgern. Wunschnamen werden bekanntlich immer rarer. Nicht schlecht
staunten diejenigen, denen Strato Geld vom Konto buchte, obwohl ihre
Wunschdomains bereits vergeben waren. "Das werden wir ändern. Wir
hatten anfangs einen enormen Kapitalbedarf. Aber eine Rückerstattung
dauert gerade eine Woche", so Wegener. Die Praxis sieht anders aus.
Trotz mehrfacher telefonischer und schriftlicher Mahnungen erhielt
ein Kunde aus Berlin sein Geld für mehrere Domains erst nach zwei
Monaten zurück. Alternativdomains wurden ihm per Standardformular
angeboten. Von der Möglichkeit der Rückerstattung keine Silbe. Doch
selbst wenn die Domain frei ist, bedeutet dies noch lange nicht definitiv,
das der Besteller ordnungsgemäß registriert wird. So landete eine
andere Berliner Bestellung bei
einem ahnungslosen Menschen aus Kiel. Eine Strato-Service-Mitarbeiterin
hatte eine einfache wie plausible Erklärung parat. "Da muss
dann wohl ein ganzer Datensatz vertauscht worden sein." Dann verriet
sie noch die Personalien des Norddeutschen. Wegener: "Wir finden in Berlin
halt kein qualifiziertes Personal." Und wieder sind die Umstände schuld.
Rund 35 Personen
sollen mittlerweile Schadensersatzansprüche geltend gemacht haben.
Bei diesem heißen Eisen wiegelt der frisch gebackene Vorstandsvorsitzende
ab. "Der einzelne Kunde soll erst einmal beweisen, ob wir als Internetdienstleister
unsere Vertragsbedingungen, nämlich 99 Prozent Verfügbarkeit, verletzt
haben. Auf welchen Zeitraum denn? Gerechnet auf ein Jahr oder drei?"
Außerdem müsse er einen wirtschaftlichen Schaden glaubhaft machen
können. Und eine Zugriffszeit von zehn oder gar 20 Minuten bedeute
keineswegs, daß Strato nicht verfügbar sei. Eine juristische Grauzone.
Strato wolle die
einzelnen Fälle außergerichtlich und kulant abfinden. Klingt großzügig,
ist es aber nicht. Denn sollte ein Geschädigter dennoch einen Musterprozess
gewinnen und damit eine Lawine von Klagen auslösen, war "Lothar" erst
die Ruhe vor dem Sturm.
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